Relevanz von Prozessmanagement-Organisationen
Warum Prozessmanagement-Organisationen wichtiger als ein Tool sind
2016 stand ein europäischer Automobilhersteller vor einer großen Herausforderung: Die Software- und Systementwicklung sollte wieder vollständig inhouse erfolgen, nachdem diese jahrelang von Zulieferern übernommen worden war. Verschärfte EU-Vorschriften und steigende Haftungsrisiken gaben den Anstoß.
Die Idee war naheliegend: Eigene Entwicklungsprozesse ermöglichen bessere Kontrolle, schnellere Reaktionen bei Problemen und eine höhere Qualität. Doch die Realität sah anders aus. Jahre der Fremdvergabe hatten zu veralteten, unstrukturierten und oft widersprüchlichen Prozessen geführt.
Ein modernes Tool zur Prozessverwaltung sollte das Chaos beseitigen – doch schnell zeigte sich: Ein Tool allein reicht nicht aus. Ohne eine funktionierende Prozessmanagement-Organisation stößt selbst die beste Software an ihre Grenzen.
Die Ausgangslage: Ein Prozess-Dschungel
Eine erste Analyse im Rahmen eines Prozessverbesserungsprojekts deckte massive Unzulänglichkeiten auf:
- Die existierenden Prozessdokumente waren unübersichtlich und nicht einheitlich.
- Verantwortlichkeiten waren unklar, und es gab keine übergreifende Struktur.
- Neue Mitarbeiter hatten Schwierigkeiten, sich in die Prozesse einzuarbeiten.
Parallel existierten mehrere Werkzeuge und Datenquellen, die die Situation zusätzlich verkomplizierten. Die Einführung eines neuen Tools schien die Lösung zu sein – doch die Herausforderungen lagen tiefer.
Die eigentliche Herausforderung: Die Prozessmanagement-Organisation
Ein entscheidender Schwachpunkt war die fehlende Struktur der Prozessmanagement-Organisation. Hier die wichtigsten Rollen, die in einem funktionierenden Prozessmanagementsystem unverzichtbar sind:
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Prozess-Sponsor:
- Verantwortlich für die strategischen Ziele und das Budget.
- Gibt der Initiative Rückhalt und sorgt für Priorisierung.
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Prozess-Verantwortlicher:
- Übernimmt die Gesamtverantwortung für Prozesse.
- Schafft Standards und überwacht die Einhaltung.
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Prozess-Eigentümer (Owner):
- Verantwortlich für die Inhalte bestimmter Prozesse.
- Arbeitet eng mit Experten (Subject Matter Experts, SMEs) zusammen, die fachliches Wissen einbringen.
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Prozess-Manager oder Designer:
- Zuständig für die Struktur und Konsistenz der Prozesse.
- Legt Regeln für die Dokumentation und Überprüfung fest.
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Prozess-Architekt:
- Koordiniert die übergreifende Prozesslandschaft.
- Verhindert redundante oder widersprüchliche Inhalte.
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Prozess-Nutzer (Projektteams):
- Verwenden die Prozesse in der Praxis.
- Werden durch Prozess-Coaches unterstützt, die Fragen beantworten und sicherstellen, dass Prozesse effektiv eingesetzt werden.
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Engineering Process Group (EPG):
- Zentrale Entscheidungsinstanz für die Prozessentwicklung.
- Sorgt für schnelle Entscheidungen und harmonisierte Prozesse.
Warum die Prozessmanagement-Organisation wichtiger als das Tool ist
In diesem Beispiel zeigte sich, dass fehlende Klarheit bei den Rollen und Zuständigkeiten die eigentliche Ursache vieler Probleme war. Zwar konnte ein modernes Prozessmanagement-Tool die Prozesse übersichtlicher gestalten, aber ohne klare Organisation blieb das Verbesserungspotenzial ungenutzt:
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Isoliertes Arbeiten in Silos:
Fachliche Experten arbeiteten unabhängig voneinander, was zu redundanten und inkonsistenten Prozessen führte. -
Fehlende Entscheidungsstrukturen:
Das EPG war zu schwach, um klare Vorgaben durchzusetzen. Entscheidungen wurden verzögert oder blieben aus. -
Unzureichende Kommunikation:
Es fehlte an definierten Kanälen und Strukturen, was zu Missverständnissen und ineffizientem Arbeiten führte.
Lektion: Prozessmanagement beginnt bei den Menschen
Ein gut organisiertes Prozessmanagement ist der Schlüssel zu erfolgreicher Prozessverbesserung. Die Einführung eines Tools kann dabei unterstützen, aber nur, wenn die organisatorischen Grundlagen stimmen:
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Klare Verantwortlichkeiten:
Jede Rolle muss definiert und mit den notwendigen Befugnissen ausgestattet sein. -
Effektive Entscheidungsprozesse:
Ein starkes EPG sorgt dafür, dass Entscheidungen getroffen und umgesetzt werden. -
Konsistente Zusammenarbeit:
Fachliche Experten, Prozessmanager und Prozessarchitekten müssen eng zusammenarbeiten, um eine harmonisierte Prozesslandschaft zu schaffen.
Fazit: Die richtige Balance finden
Ein Tool kann Prozesse effizienter gestalten, aber es ersetzt keine funktionierende Organisation. Die richtigen Rollen, klare Verantwortlichkeiten und effektive Kommunikation sind entscheidend für den Erfolg eines Prozessverbesserungsprojekts.
In diesem Fall dauerte es Jahre, bis die Prozesslandschaft aufgeräumt und nutzbar war. Mit einer starken Organisation hätte dieser Weg deutlich schneller und kosteneffizienter beschritten werden können.